Abschneiden der Tasthaare bei Hunden ist verboten – der Wahnsinn um die Vibrissen

Laut §6 Tierschutzgesetz ist seit 2022 das Abschneiden, Abrasieren und sogar Kürzen der Tasthaare (Vibrissen) von Hunden verboten. Wer dagegen verstößt, riskiert eine Ordnungswidrigkeit oder kann sogar einer Straftat bezichtigt werden. Warum das der blanke Wahnsinn und sogar zum Nachteil der Hunde ist, erfährst du hier.

  1. Was sind Vibrissen?
  2. Die Hintergründe des Gesetzes
  3. Die Wahrheit der Vibrissen bei Pudel, Malteser und Co.
  4. Die Nachteile langer Tasthaare
    1. Die Augen wachsen zu
    2. Die Hygiene leidet
    3. Haare ragen ins Maul – Zahngesundheit in Gefahr
    4. Das Risiko für Lefzenekzeme ist erhöht
    5. Fremdkörper und Reste setzen sich fest
    6. Höhere Gefahr für Parasiten
  5. Utopische Vorstellungen von Tierärzten und Verantwortlichen
  6. Die Idee hinter der Gesetzgebung
  7. Häufige Fragen zum Thema Vibrissen
    1. Tut es Hunden weh, wenn die Vibrissen geschnitten werden?
    2. Sind Tiere mit gekürzten Vibrissen eingeschränkt?
    3. Können Vibrissen verloren gehen?
  8. Du willst gegen den Vibrissen-Wahnsinn vorgehen

Was sind Vibrissen?

Vibrissen werden bei verschiedenen Tieren auch als Schnurrhaare, Barthaare oder Tasthaare bezeichnet. Es handelt sich um verdickte Haare, die sich rund um die Augen, im Bart und am Hals befinden können. Je nach Tierart, Rasse und vor allem der Felllänge und Beschaffenheit stehen sie deutlich hervor oder sind kaum sichtbar.

Ihre ursprüngliche Aufgabe ist es, die Umgebung besser wahrzunehmen. Die verdickten Barthaare können theoretisch kleinste Luftzüge wahrnehmen, dabei helfen, sich im Dunkeln sicher zu bewegen und vor Verletzungen zu bewahren. Betonung auf: theoretisch!

Die Hintergründe des Gesetzes

Anders als die normalen Fellhaare sind Vibrissen an der Wurzel von einer Blutkapsel umgeben. Kleinste Veränderungen bewirken auch eine Veränderung des Drucks in der Kapsel. Dadurch ermöglichen es die Tasthaare, Sinneseindrucke zu registrieren.

Im Zuge des verbesserten und umfassenderen Tierschutzes wurden die Vibrissen zu Sinnesorganen erklärt. Also auf eine Stufe mit Ohren und Nase gestellt.  

Das klingt zunächst logisch. Immerhin können die Tasthaare in Augennähe auch für das Schließen der Augen aus Reflex sorgen, wenn starke Zugluft aufkommt oder sich ein Fremdkörper nähert.

Das Kürzen, Schneiden, Scheren oder sogar Entfernen der Vibrissen ist verboten und wird sogar als „vorübergehende Amputation“ bezeichnet. Abgesehen von dem offensichtlichen Widerspruch, den amputierte Körperteile wachsen nicht mal eben nach, gibt es eine wichtige Einschränkung, die in dem Gesetz nicht berücksichtigt wird.

Die Wahrheit der Vibrissen bei Pudel, Malteser und Co.

Hunderassen und Mischlinge mit Scherfell – vor allem mit gelocktem Fell – setzen ihre Vibrissen nicht mehr ein. Die Tasthaare sind von dem Fell verdeckt, oftmals unterentwickelt oder sogar deformiert. Dadurch können sie ihre ursprüngliche Funktion auch dann nicht erfüllen, wenn sie lang wachsen.

Es ist zudem bei Pudel und Co. keine Seltenheit, dass die Vibrissen sich nach hinten biegen und dadurch in die Nase, das Maul oder die Augen wachsen.

Während beispielsweise ein Windhund mit kurzem Fell durchaus auf Reize an den Tasthaaren reagiert, ist das bei Hunden mit (lockigem) Scherfell nicht der Fall. Sie nutzen sie schlicht nicht mehr. Zum einen aufgrund des Fells. Zum anderen wohl auch aufgrund der genetischen Beeinflussung durch die Zucht.

Das Fell hat sich mittlerweile so weit vom Ursprung entfernt, dass davon auch die Vibrissen betroffen sind.

Dieser Fakt wurde bei der Gesetzgebung nicht berücksichtigt. Stattdessen werden alle Hunde und Katzen in einen Topf geworfen – ob die langen Tasthaare einen tatsächlichen Nutzen aufweisen oder nicht.

Das allein ließe sich noch unter eingeschränktem Wissen verbuchen. Dazu kommt allerdings die Gefahr für die Hunde selbst, die vollkommen außer Acht gelassen wird.  

Die Nachteile langer Tasthaare

Was bei Hunden wie Lhasa Apsos, Havanesern und Bolonkas vollkommen in der Gesetzgebung übersehen, vergessen oder absichtlich ignoriert wurde: Die regelmäßige Fellpflege inklusive Scheren ermöglicht es ihnen, gesund zu bleiben, sich frei zu bewegen und sich auch bei hohen Temperaturen wohlzufühlen.

Wird das Fell im Gesicht mehr gekürzt, ergibt sich daraus eine ganze Reihe von Nachteilen für den Hund, die weit über die angeblichen Einschränkungen durch kürzere Tasthaare hinausgehen.

Überzeug dich selbst:

Die Augen wachsen zu

Das Gesicht nicht mehr freischeren zu dürfen, bedeutet, die Augen wachsen zu. Fellhaare landen immer wieder in den Augen. Sie versperren also nicht nur die Sicht, sondern können schmerzhafte und gefährliche Entzündungen erzeugen.

Sogar, wenn die Augen selbst freigeschnitten werden, ragen in vielen Fällen Barthaare und Vibrissen nach oben oder können nach hinten und damit in die Augen gedrückt werden.

Einfach mal ausgelassen sielen und sich das Gesicht schubbern? Das geht nur, wenn im Anschluss jemand zur Verfügung steht, der die Haare wieder aus dem Sichtbereich und aus den tränenden Augen entfernt.

Die Hygiene leidet

Futterreste bleiben hängen. Einmal mit feuchtem Bart am Boden geschnüffelt und schon wird er zum Schmutz- und Schlammfänger. Leckt sich eine läufige Hündin das Blut der Hitze ab, schmiert sie sich damit voll.

Langes Bartfell von Hunden kommt einer Petrischale gleich, in der sich auf Schmutz, Resten und dauerhafter Feuchtigkeit Bakterien und Pilze versammeln. Kein Wunder, denn das feuchtschmutzige Klima ist ein wahres Paradies für Keime.

Verkrustungen, Verklebungen, üble Gerüche und Filzbildung sind die typischen Folgen. Hygiene und Wohlfühlen sehen anders aus.

Haare ragen ins Maul – Zahngesundheit in Gefahr

Lange Barthaare werden bei jedem Trinken, jedem Fressen, jeder Kaustange, jedem Lecken und jedem Hecheln oder Zungenschlag ins Maul gezogen.

Hier reizen sie Zunge und Zahnfleisch, verändern den pH-Wert der Mundflora und stellen nicht zuletzt ein Risiko für die Zahngesundheit dar.

Ganz abgesehen davon, dass sich der Hund selbst an den Haaren ziept, die Vibrissen ihrer Funktion nicht nachkommen können, wenn sie im Maul stecken und es schlichtweg unangenehm und störend ist.

Das Risiko für Lefzenekzeme ist erhöht

Bei jedem Trinken, Fressen, Sabbern, Lecken oder der Beschäftigung mit einem Kauartikel landen Wasser oder Feuchtigkeit im Bartfell. Auch bei der Reinigung des Fells führt kein Weg an Wasser vorbei.

Diese fortgesetzte Feuchtigkeit weicht die Haut auf, kreiert ein keimfreundliches Milieu und ist damit die beste Voraussetzung für Lefzenekzeme.

Fremdkörper und Reste setzen sich fest

Zweige, Laubstücke und Krümel setzen sich in längeren Bärten sehr schnell fest. Sie können das Fell verknoten, pieken und sogar Verletzungen erzeugen.

Die Entfernung ist für den Hund oftmals mehr als unangenehm. Das gilt vor allem dann, wenn Fremdkörper, Reste und Verschmutzungen nicht sofort auffallen.

Höhere Gefahr für Parasiten

Nicht nur Flöhe und Zecken können leichter durch langes Fell aufgenommen werden und sich besser darin verstecken. Auch die Aufnahme von Wurmeiern, Giardien und sonstigen Parasiten und Keimen erfolgt deutlich schneller.

Denn ein langer Bart, der über den Boden schleift, wirkt gewissermaßen als Wischlappen für Erreger. Die sich darin festsetzen und somit häufiger und in größeren Mengen aufgenommen werden oder sich ausbreiten.

Utopische Vorstellungen von Tierärzten und Verantwortlichen

All diese Einschränkungen und reellen Gefahren wurden sowohl von befürwortenden Tierärzten als auch von anderen Verantwortlichen bei der Gesetzgebung ignoriert.

Stattdessen finden sich utopische und vollkommen realitätsferne Vorschläge und Tipps, wie das Bartfell kurzgehalten oder gereinigt und gepflegt werden soll. Darunter:

  1. Das Fell um die Vibrissen schneiden.

Jeder, der einen Hund mit Scherfell hält und schon einmal selbst Schere oder Schermaschine angesetzt hat, weiß, das funktioniert selbst mit der größten Geduld nicht. Ganz zu schweigen davon, dass es für den Hund eine Zumutung ist.

Es bedeutet schließlich, dass jemand stundenlang mit einer Schere in seinem Gesicht herumfummelt, um jedes siebte, neunte, 123ste und 5.873ste Haare von einer Million nicht versehentlich zu kürzen.

2. Reinigung durch Wasser

Ein Tierarzt empfahl, den Hundebart täglich mit blankem Wasser zu reinigen. Und zeigte damit deutlich, dass er schlicht und einfach keine Ahnung hat.

Auskämmen, Ausbürsten, Ausspülen und Föhnen müssten nach jedem Gassigang, nach jedem Fressen, nach jedem Kauartikel und nach jedem Lecken erfolgen, um das Bartfell sauber zu halten.

Diese übermäßige Pflege schadet Fell, Vibrissen und Haut, reizt die Augen und schränkt den Hund ein. Probleme wie ins Maul ragende Haare, Lefzenekzeme und das Zuwachsen der Augen werden dadurch ebenfalls nicht gelöst. Sie werden nur ebenfalls ignoriert.

3. Kürzen ist erst erlaubt, wenn Probleme bestehen.

Laut Gesetz ist es Hundefriseuren beziehungsweise Groomern und Haltern gleichermaßen verboten, die Vibrissen zu kürzen. Es gibt allerdings Ausnahmen.

Für diese Ausnahmen musst du zunächst darauf warten, dass sich absehbare und absolut vermeidbare Probleme durch die zu langen Tasthaare einstellen. Mit diesen provozierten und unnötigen Problemen gehst du zum Tierarzt.

Hat dieser ausreichend Ahnung oder gesunden Menschenverstand, kann er deinen Hund und dich als Ausnahme deklarieren und selbstständig die Haare kürzen.

Also nicht du, egal, wie viel Ahnung und Erfahrung du hast. Und auch kein Groomer mit Erfahrung, Wissen und der richtigen Ausstattung. Ein Tierarzt, der nun auch noch zum Hundefriseur gemacht wird.

Die Idee hinter der Gesetzgebung

Die Idee hinter der Gesetzgebung mag – bestenfalls – eine Verbesserung für die Hunde gewesen sein.

Die Realität ist, dass Hunde mit Scherfell den Kürzeren ziehen.

Und warum? Weil das Gesetz von Menschen beschlossen wurde, die keine praktische Ahnung und Erfahrung mit der Thematik haben. Menschen, die den Unterschied zwischen Theorie und Praxis nicht kennen und die Hunde leider vollkommen aus dem Blick verloren haben.

Häufige Fragen zum Thema Vibrissen

Tut es Hunden weh, wenn die Vibrissen geschnitten werden?

Nein. Ebenso wie das Schneiden der Krallen kann es als unangenehm empfunden werden. Bei Hunden mit Scherfell sind die Tasthaare aber meist von der Anlage an so verkümmert, dass nicht einmal ein unangenehmes Druckgefühl aufkommt.

Sind Tiere mit gekürzten Vibrissen eingeschränkt?

Das kommt ganz darauf an, ob sie die Tasthaare vor dem Kürzen eingesetzt haben oder nicht. Verkümmerte Vibrissen oder solche, die in (lockigem) langem Fell verborgen sind, haben keine Funktion mehr. Dementsprechend hat der Hund keine Einschränkung oder eine veränderte Sinneswahrnehmung, wenn sie gemeinsam mit dem Bart gekürzt werden.

Anders verhält es sich bei kurzhaarigen Rassen und Tieren, die sich auf die Sinneseindrücke durch die Tasthaare verlassen. Werden sie bei ihnen abgeschnitten, fällt mit einem Schlag eine Option zur Orientierung weg. Damit kommen sie zwar nach der Gewöhnung zurecht, dennoch handelt es sich um eine Einschränkung.

Können Vibrissen verloren gehen?

Ja! Vibrissen haben wie alle anderen Fellhaare auch eine begrenzte Lebensdauer. Sie können abbrechen, abgekaut und beim Kratzen herausgerissen werden oder ausfallen. Problematisch ist das nicht, denn sie wachsen nach.

Stellst du allerdings einen übermäßigen Ausfall fest, sind alle abgebrochen oder wachsen sie kaum nach, bilden sich kahle Stellen und besteht hoher Juckreiz – ab zum Tierarzt! Denn dahinter stecken gesundheitliche Probleme.

Du willst gegen den Vibrissen-Wahnsinn vorgehen

Das Gesetz wurde zwar leider bereits erlassen, ohne die Realität, die Abstufungen und den Unsinn zu bedenken. Aufklärung zu leisten und Petitionen zu unterschreiben, lohnt sich dennoch.

Zwar werden wir alle damit keine direkte und sinnvolle Änderung erreichen. Es wird jedoch klar, dass das Gesetz vieles ist – nur nicht im Sinne der Hunde mit Scherfell.

Antwort

  1. Avatar von Warum haben Pudel komische Frisuren? – PunkrockPudel

    […] für das Tierwohl. An einigen Stellen in die falsche Richtung, wie du beispielsweise an der Debatte um das Kürzen der Vibrissen erkennen kannst. […]

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